»Ich denke, dass die kreativsten Menschen die Androgynen
sind. Schau dir nur David Bowie, Mick Jagger oder mich
selber an. Unsere Hyperkreativität ist das Resultat dieser
Konfusion aus Weiblichem und Männlichem.«
Ein Strand an der Atlantikküste, ein glühend heißer Sommer in den
achtziger Jahren, für vier junge Männer der letzte vor dem Eintritt in
die obskure Welt der Erwachsenen. Im Schatten der Maulbeerbäume
und in den Nischen der Klippen mit ihren tausend orphischen
Eingängen und verborgenen Gärten, streunen sie herum. Junge
Götter, bald schon gefallene Engel. Sie lesen Rimbaud und Cocteau,
schreiben Gedichte und inszenieren ihre Androgynität. Noch
unschuldig, bis sich das Meer einen von ihnen holt.
Wir vier gingen alle in dieselbe Schule und hatten diesen Platz zunächst
unabhängig voneinander entdeckt. Dann waren wir uns hier immer
wieder über den Weg gelaufen, bis unser anfängliches gegenseitiges
Misstrauen verschwand und wir ein gemeinsames Interesse in unserem
reichlich verwirrten, nur ansatzweise definierten Leben ausmachten.
Im nächsten Sommer würden wir die Schule beenden, und damit wäre
es auch mit unserer Freiheit vorbei.
Dione war der Älteste in unserer Clique. Seine Feminität wurde durch das
subtile Flattern der blauschwarz getuschten Wimpern unterstrichen, die wie
steife Pinsel waren. Er war der Einzige von uns, der niemals schwamm. In
unseren Transistorradios knisterten erregende Popsongs oder schleppende,
nasale Bluesmusik. Wir alle warteten geduldig auf Lou Reeds »Walk on the
Wild Side«.
Verlag: Bilger Verlag Erscheinungsjahr: 2016
Ausführung: Fester Einband